Das MrBeast Drama

Die Sache mit MrBeast ist schlimmer als erwartet


So titeln aktuell Dutzende YouTube-Videos. MrBeast ist nach Zahlen (309 Mio. Abonnenten) der weltweit erfolgreichste Content Creator. Jetzt wird der Mitarbeiterin Ava Kris Tyson missbräuchliches Verhalten gegenüber Kindern vorgeworfen. MrBeast (bürgerlich James Donaldson) beendete die Zusammenarbeit sofort. Doch ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter nutzte diesen Moment, um eigene Anschuldigungen zu äußern. „Ich habe für MrBeast gearbeitet. Er ist ein Betrüger“ heißt das Video, das mittlerweile 14 Millionen Aufrufe hat. In dem Vortrag geht es um Manipulation bei Wettbewerben, Vetternwirtschaft, illegale Gewinnspiele, das Skripten „ungeskripteter“ Videos und unethische Geschäftspraktiken. Besonders schwer wiegen die Vorwürfe, weil die Zielgruppe der Produkte Minderjährige sind.

Die Anschuldigungen lauten:

  • MrBeast suggeriert positive Gesundheitsaspekte seiner Schokolade, die nicht vorhanden sind.
  • Der Verkauf wird durch Reize gefördert, die dem Glücksspiel ähneln.
  • Ein wiederkehrender Publikumsliebling soll ein bezahlter Mitarbeiter sein.
  • Es existieren Videoaufnahmen, in denen Mitarbeiter offenbar Unterschriften des Stars fälschen.
  • Unter den Wettbewerbern wurden Sexualstraftäter geduldet.
  • Die Produktion ging fahrlässig mit der psychischen und körperlichen Gesundheit einiger Wettbewerber um.

Um meiner eigenen journalistischen Sorgfalt gerecht zu werden, betone ich, dass diese Anschuldigungen nicht belegt sind.

MrBeast, Everybody’s Darling


Was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft, hat MrBeast alles richtig gemacht: Geld an Bedürftige verschenkt, ausgesetzte Hunde vermittelt, Brunnen in Afrika gebaut, Schulen und Häuser in Südamerika errichtet. Sein Image beruhte darauf, „einer von den Guten“ zu sein. Er fuhr keine Sportautos, besaß keine Villen und gab sich keinen Exzessen hin. Er war „einer von uns“. Nur eben mit einem Nettojahresgewinn von 82 Millionen Dollar. Selbst Medien wie das ZDF berichteten unkritisch über den „Willy Wonka des Internets“.

(Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/mrbeast-youtuber-usa-100.html
(Aufruf am 21.08.2024, 11:23 Uhr))


Das ist die Macht von PR. Wo man die Perspektive kontrolliert (in selbstverfassten Artikeln, Pressemitteilungen und Videos), wird das öffentliche Bewusstsein mit Berichten über die eigenen Wohltaten geflutet. Und da Journalismus kostspielig ist, bedienen sich auch die größten Medienhäuser der Welt zunehmend schnell verfügbaren Informationen. Schnelle Informationen heißt: schnelles Geld – Geld, das durch Klicks und Auflagen generiert wird. Denn der wirtschaftliche Druck ist hoch. Jeder Artikel und jede Ausgabe muss sich für die eigene Existenz rechtfertigen.


Heute bekommt ein Alleinunterhalter und Süßigkeitenhändler auch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Huldigung. Denn wenn ein Füllartikel gebraucht wird, fasst man einfach das zusammen, was Personen selbst von sich behaupten. So vergibt auch das ZDF implizit das Prädikat: „Absolut reine Weste – ein Vorzeigekapitalist“.

„Es dauert 20 Jahre, um einen Ruf aufzubauen, und fünf Minuten, um ihn zu ruinieren“ – Warren Buffet


Reiche Unternehmer gegen arme Journalisten. Das lädt dazu ein, zynische Weltanschauungen zu pflegen. Bei Medienmanipulation denken wir an PR-Stäbe in dunklen Anzügen, die im 30. Stock des Maintowers die Fäden ziehen. Doch Anton Hunger, ehemaliger Kommunikationschef bei Porsche, zeichnet ein anderes Bild. Kehrt das Schwungrad der positiven Aufmerksamkeit einmal um, werden die Grenzen von Krisen-PR sichtbar. „Wer erst einmal von den Medien skandalisiert werde, dem sei kaum mehr „aus der medialen Patsche“ zu helfen: „Der Verdächtigte ist nackt, das Guckloch in der Peepshow offen und der den Verdächtigen schützende Spin Doctor ein zahnloser Tiger“ (Hunger 2014).“

(Quelle: Verschwimmende Grenzen zwischen Journalismus, Public Relations, Werbung und Marketing – Nicole Gonser, Uta Rußmann (2017))

Dies lässt sich bei Jimmy Donaldson beobachten. Auf das erste Anklagevideo folgten Dutzende weitere. Immer mehr Betroffene meldeten sich zu Wort, immer weiter spannte sich das Netz der Anschuldigungen. Mittlerweile gibt es nicht nur Anklagevideos. Es gibt Videos über Anklagevideos und Videos über Videos über Anklagevideos.

Wegen dem MrBeast Drama schaue ich ein Video, in dem ein Typ auf einen Typen reagiert, der auf einen Typen reagiert, der auf einen Typen reagiert, der auf einen Typen reagiert, der auf das illegale Zeug von MrBeast reagiert. Verrückt wie tief das alles verwurzelt ist.“

(Quelle: Twitter/X (25.08.2024 19:31))

Bei dieser Umkehrung vom Unschuldslamm zum Teufel in Person spielen zwei Faktoren eine maßgebliche Rolle. Der erste ist der Confirmation Bias, der Bestätigungsfehler. Wir suchen unterbewusst ständig Informationen, die das bestätigen, was wir eh schon glauben. Wenn die ursprüngliche Anklage überzeugend ist, finden wir plötzlich Fehler bei dem Verdächtigen, die uns vorher nicht aufgefallen sind. So wird auch jede Eigenheit von Jimmy nun rückwirkend umgedeutet und als Beweis seiner Schuld vorgetragen. Schokolade zu verkaufen, ist jetzt weniger „Willy Wonka“ und mehr „Treiber von Adipositas bei Kindern“. Brunnen zu bauen, ist keine Philantrhopie mehr, sondern die Arroganz des weißen Mannes. Und alles Gute, was jemals vor der Kamera passiert ist, ist „nur für die Klicks“ geschehen.

Der zweite Faktor ist das Medium. YouTube ist praktisch eine Boulevardpresse auf Steroiden. Die reißerischste Headline gewinnt und um mitzumachen, braucht es nicht einmal eine Geschäftslizenz. Trotzdem ist jeder Klick Geld wert. Einmal durch Google-Werbung und zunehmend auch durch Produktplatzierungen.

Der Verdächtigte ist nackt …

Besonders erbarmungslos ist die Online-Welt, weil sich niemand verstecken kann. Das Internet vergisst nicht. Alles, was jemals hochgeladen wurde, kann mit genug Aufwand wiedergefunden werden.

So liefert MrBeasts PR-Team seinen Kritikern ungewollt weitere Munition: Sein erstes Video nach dem Skandal ist eine vorproduzierte Show, die auf keine der Anschuldigungen eingeht. Doch in den Kommentaren geht es heiß her, und MrBeast entscheidet sich durchzugreifen. Alles, was auf den aktuellen Skandal anspielt, wird gelöscht. Doch mit Hilfe von Computerprogrammen (Netscraping) dokumentiert das Internet jeden einzelnen Schritt. Das Resultat: Mehr Anklagevideos. Videos, die genau darlegen, wann, wie viele Kommentare gelöscht wurden und welche Inhalte sie hatten.

Die grüne Linie ist die Gesamtzahl der geposteten Kommentare. Die rote Linie ist die Gesamtzahl der Kommentare, die noch sichtbar sind. Im Zeitraum von 36 Stunden wurden also über 26.000 Kommentare gelöscht“, so die Stimme von „Upper Echelon“ im dazugehörigen Video.

(Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=BMOIvar57vs&t=585s)


Anderen Hobbydetektiven ist aufgefallen, dass jahrealte MrBeast-Videos auf YouTube ein paar Sekunden kürzer geworden sind. Das heißt, dass Szenen herausgeschnitten wurden. Dank Seiten wie archive.org kann genau nachvollzogen werden, welche Aufnahmen das waren. Natürlich solche, die die Anschuldigungen glaubhafter erscheinen lassen. Grund für? Genau. Ein neues Anklagevideo.

Das Ende von MrBeast

ist dieser Skandal jedoch wohl noch lange nicht. Auch wenn Dutzende Videos auf YouTube exakt das beschwören. Der Konsens lautet, dass seine Karriere ruiniert ist. Dass es angesichts der erdrückenden Beweislast keinen Ausweg für ihn gibt. Dass er aufhören muss. Doch auch hier wird die Rechnung ohne YouTube gemacht. Ohne das, was YouTube so besonders macht.

Denn es gibt keinen Saal, zu dem man ihm den Eintritt verwehren könnte. Keine Partei, aus der man ihn hinauswerfen kann. Keine Lizenz, die es zu entziehen gäbe. Es gibt nur den freien Markt des Contents. Geklickt wird, was interessant ist. Vom Algorithmus wird empfohlen, was lange geschaut wurde. Irgendwann ist der Aufwind für die Anschuldigungen weg. Und dann stehen sich zwei ungleiche Kräfte gegenüber.

In der linken Ecke: Dreizehn Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Unterhaltungsvideos, unterstützt von Millionen von Dollars.

In der rechten Ecke: Eine Handvoll Teilzeit-YouTuber, die es sich buchstäblich nicht leisten können, über etwas zu berichten, das niemanden interessiert.

Wenn der Content von MrBeast gut genug ist, wird er die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer weiter halten. Wenn er die Aufmerksamkeit hält, wird er von YouTube empfohlen. Und das allein ist der Schlüssel zum Erfolg. Das ist dann nicht die Macht der PR. Das ist die Macht zu wissen, was das Publikum wirklich will: nämlich Unterhaltung.

WordPress Cookie Notice by Real Cookie Banner